"Was hast du denn mit Kirgistan zu tun?", fragte mich neulich ein Kollege.
Noch nichts. Könnte die einfache Antwort lauten. Ich war ja erst ein einziges Mal da. Doch natürlich speise ich ihn nicht so einfach ab – obwohl ich mich über die Frage oder vielmehr die Art, wie er Interesse für meine Pläne zeigt, ärgere. Wieder begegnet mir dieser ungläubige Blick, den ich öfter ernte, wenn ich erzähle, dass ich nach Kirgistan gehe. Er gibt mir das Gefühl, ich müsse mich rechtfertigen dafür, dass ich ausgerechnet dieses kleine, unbekannte Land in Zentralasien für meinen Aufenthalt gewählt habe. Ginge ich nach - sagen wir mal Australien, wäre das wahrscheinlich anders. "Ah toll, ja nach Australien will ich auch nochmal. Nur der Flug dauert so lange" - "Sydney ist sooo schön, du musst unbedingt am Bondi Beach Yoga machen, wenn du da bist" - "Oooh, da kannst du bestimmt Koalas streicheln". So oder so ähnlich male ich mir die Reaktionen aus. Von Kirgistan haben die wenigsten eine Vorstellung und daher auch keine Meinung zum Land. Da ist erstmal Skepsis angesagt. Schließlich steht es nicht gerade ganz oben auf der Liste der Reiseziele von Deutschen. Das kleine unbekannte Fleckchen neben China, von dem man nicht mal weiß, ob es jetzt Kirgistan, Kirgisistan oder Kirgisien heißt. Weshalb viele den Namen einfach vorsichtshalber komplett vergessen. "Wohin gehst du nochmal? Kasachstan? Aserbaidschan?" Die Namensverwirrung lässt sich leider nicht ganz endgültig klären. Kyrgyzstan ist die korrekte Übertragung der ursprünglichen kyrillischen Schreibweise кыргызстан ins lateinische Alphabet. Die Briten halten sich dran und schreiben das Land immer noch so. Die Deutschen wollten den Namen ans eigene Sprachbild anpassen, heraus kam Kirgisstan - da sowohl "з" als auch "с" für einen s-Laut steht. Das sah aber noch komischer aus als das Original, daher wurde ein s gestrichen. Kirgistan ist also konsensfähig, wenn auch nicht ganz korrekt. Damit es ähnlich klingt, wie Kirgisen ihr Land aussprechen, kursiert auch Kirgisistan, sogar auf der Internetseite des Auswärtigen Amts. Ist aber streng genommen Quatsch, ebenso wie Kirgisien - auch wieder so eine Hörfassung, allerdings von der russischen Aussprache. Ohne die Endung -stan beraubt man Kirgisen außerdem ihrer Heimat. Denn diese schöne, aus dem Persischen stammende Endsilbe bedeutet "Heimat von". Kirgis-stan ist also die Heimat der Kirgisen.* Neunmalkluge können auch Kirgisische Republik sagen - als Übersetzung der offiziellen Landesbezeichnung. Ich bleibe bei Kirgistan. Warum aber interessiere ich mich für dieses Land? Auch das ist nicht einfach in einem Satz zu beantworten. Wie jede Faszination ist es eine Mischung aus vagen Gefühlen, Vorstellungen, Ideen, die sich nicht in Worte kleiden und zusammenfassen lassen, ohne, dass der Reiz dadurch verfliegt. Anders gesagt: Ich kann höchstens den Auslöser für meine Neugier auf das Land benennen. Denn ich erinnere mich noch an die erste bewusste Begegnung mit dem Flair Kirgistans. Und die hatte ich in Berlin, genauer gesagt in der Neuköllner Eckkneipe "Laika" an einem Mittwochabend im November 2011. Das erste kirgisische Filmfestival verschlug mich dorthin, auf dem Programm standen Kurzfilme. Und die haben mich nachhaltig beeindruckt. Die Farben, die Atmosphäre, die unendliche Weite des Landes, auf der doch eine wehmütige Schwere lastet. Der Abend zog schnell vorüber, zurück blieb das Bild vom kleinen Vogel und der feste Wille: Dieses Land werde ich mal bereisen. Einen Einblick gibt’s hier: The Earrings, Nargiza Mamatkulova, 2009 https://www.viddsee.com/video/the-earrings/asfet?locale=en
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Mein Asienabenteuer beginnt für mich also, als ich im Visumszentrum in Berlin meinen Pass in den Händen halte – versehen mit der Transitgenehmigung für die Russische Föderation. Genau, янина, das bin ich.
Auf mich warten drei Tage Zugfahrt im Schlafwaggon zweiter Klasse, von Moskau über Samara durch Kasachstan bis nach Bishkek, der Hauptstadt Kirgistans. Damit erfülle ich mir den Traum, einmal die Transsibirische Eisenbahn zu befahren - zumindest teilweise. Noch stelle ich mir die Fahrt einigermaßen romantisch vor: Wie sich die Landschaft vor meinem Fenster langsam verändert, ich vielleicht einen Blick auf die Berge des Urals erhasche oder aus der Ferne die kasachische Hungersteppe erahnen kann. Leise Bedenken wie "Was ist, wenn nur Schnarcher im Abteil sind? Fehlt mir nicht irgendwann die Frischluft? Kann ich mich genug bewegen? Gibt’s an Bord überhaupt fleischloses Essen?" erstummen im Jubel meiner puren Vorfreude... |
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Fernsehmacherin. ArchivKategorien |