Was gibt es schöneres als an einem Samstag um 6.30 Uhr aufzustehen? Öhm... Endlich mal ausschlafen?! ES IST WOCHENENDE! Schreie ich meine Wecker innerlich an, aber ich schäle mich aus dem Bett. Denn ich weiß: In ein paar Stunden bin ich dankbar. Außerdem kann ich ja im Bus noch weiterschlafen. Das mache ich auch und als ich aufwache, stellt sich Seelenfrieden ein. Vorsichtig rumpelt der Fahrer unsere Gruppe über die spärlich asphaltiere Straße, die sich durch das westliche Hochgebirge des Tienshan schlängelt. Schneebedeckte Gipfel ziehen am Fenster vorbei, darüber strahlt der Himmel tiefblau, keine Wolke weit und breit. Ich habe mich dem kirgisischen Wanderverein angeschlossen, unser Ziel ist die Ak-Suu Schlucht. Kurzes Schütteln auf dem Parkplatz, Handschuhe und Mützen werden hervorgezogen. Schnell loslaufen, damit die Kälte nicht noch weiter unter die Zwiebelschichten unserer Kleidung krabbelt. Motiviert quasselnd stapfen wir den schmalen Pfad dahin, doch schon bald ersterben die Kennenlerngespräche. Jeder Atemzug wird für den Aufstieg gebraucht. Wir befinden uns auf über 2500 Metern, das heißt – schon etwa 25 Prozent weniger Sauerstoff gelangt in die Lunge. Nach dem ersten Hügel ebnet sich der Wanderweg, es ist wieder genug Energie da, um Gruppenfotos auf den herumliegenden Felsbrocken zu machen. In der Ferne thront Pik Putin, ein 4000er, der seit gut sechs Jahren den Namen des russischen Präsidenten trägt. Wir bilden eine Menschenkette, um den halb vereisten Fluss zu überqueren, der die Schlucht teilt. Das Wasser ist glasklar und schmeckt sogar aus einer Plastikflasche noch hervorragend. Danach werden die Schneeflächen immer dichter, beständig knarzt es unter unseren Schritten. Dazu dudelt russischer Pop, der aus der Box dringt, die an Ruslans Rucksack baumelt. So vertreiben wir drei Rinder vor uns, die hier in Ruhe weiden wollen. Als wir an ihnen vorbei sind, kommen sie allerdings neugierig nachgelaufen. Besitzer sind weit und breit nicht zu sehen, auch Pferden traben jenseits des Flusses herrenlos durch die Gegend. Sie stören sich an uns und unseren Kameras nicht weiter und ziehen in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Kalt ist schon lange keinem mehr von uns. Als wir rasten, zieht Ruslan sogar die Jacke aus und sitzt mit nackten Armen auf 3000 Metern Höhe im Schnee. Der Alkohol hält ihn warm, sein Rotwein macht beim Picknick die Runde. Dazu wird kirgisisches Brot herumgereicht, abgepackte Mini-Kuchen fliegen durch die Luft. Jeder teilt, was er hat. Wir haben das Ende unseres Hinwegs erreicht, endlich ist Zeit, um in der großen Runde zu quatschen. "Scheiße" und "Fick dich" sind die ersten Vokabeln, die grinsend aus dem Gedächtnis gekramt werden, als ich mir vor allen als Deutsche oute. Mister Li, ein bedächtiger Südkoreaner, den alle immer nur Mister Li nennen und der stets mit seinem hölzernen Wanderstock voranschreitet, hebt das Niveau wieder: "Keine Rose ohne Dornen". Oho, so etwas Poetisches habe ich noch nie in solchen Unterhaltungen gehört. "Yaninna, what is again "butterfly" in german?", fragt Alina. Haha. Ich gönne ihnen den Spaß mit dem Schmetterling. (Wer es nicht kennt: Klick hier, Ab Sekunde 20) Als die Füße vom Nichtstun wieder kalt geworden sind, brechen wir auf, nun mit der Sonne im Rücken. Ihr Licht ergießt sich als gold-orangener Schimmer auf den Bergen rechts und links von unserem Weg. Beschwingt geht es bergab, schon bald puckert es überall dort, wo sich Blut kurzfristig zurückgezogen hatte. Mister Li arbeitet als Ingenieur für ein Wasserkraftwerk in Kirgistan, stellt sich heraus. Nicht alle sind wie er feste Mitglieder im Wanderverein. Auch zwei türkische Touristen und ein russischer Hochzeitsfotograf auf der Durchreise sind spontan zum Trekking dazugestoßen. Mit zwei Kirgisinnen, die im Sommer als Reiseleiterinnen arbeiten, kann ich sogar deutsch sprechen. Sie freuen sich, dass sie mit mir ein bisschen üben können. Zurück vergeht die Zeit schneller, obwohl bergablaufen nicht weniger anstrengend ist. Den Weg zum Parkplatz bahnen wir uns durch ein Feld voller Kletten und ziehen uns gegenseitig die tischtennisballgroßen Ärgerlinge von der Kleidung, bevor wir geplättet in die Sitze im Bus sinken. 17,5 km sind wir marschiert, unsere Wangen glühen von der Anstrengung und Kälte. Zurück in der Wohnung schaffe ich es gerade noch, ein heißes Bad zu nehmen – und den Wecker für den nächsten Tag auszuschalten.
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